Der ‚Bauherr‘ mit Bodenhaftung.

Der vierspurige Ausbau der heutigen B27 von Balingen nach Hechingen, die Ertüchtigung der B463 in den Zustand, wie wir sie heute kennen inklusive der Untertunnelung in Albstadt-Laufen, oder auch die Ortsumgehungen Owingen und Weildorf als aktive Zubringer zur Autobahn: die Aufzählung an für den Zollernalbkreis wichtigen Projekten und Maßnahmen, welche mit dem Wirken von Heinrich Haasis in Verbindung gebracht werden, ließe sich noch lange weiterführen. Nicht durch Zufall wird Haasis auch als einer der „Bauherren“ des Zollernalbkreises bezeichnet. Und wenn der Kreis seinen runden, 50. Geburtstag feiert, sollten die prägenden Figuren auch im ZOLLERNALB MAGAZIN zu Wort kommen.

Metzingen. An einem wolkenlosen Mittwochnachmittag im Februar. Ich habe das Privileg, den früheren Landrat des Zollernalbkreises, Landtagsabgeordneten und langjährigen Sparkassen-Manager bei sich zuhause treffen zu dürfen. Ohne zu viel vorweggreifen zu wollen: ich habe selten einen Politiker und hochrangigen Manager kennengelernt, welcher mich persönlich mit seinen Aussagen so überzeugt und auch inspiriert hat. Dazu aber später mehr.

Auch wenn Heinrich Haasis die Meilensteine seines Werdegangs sicher schon unzählige Male zum Besten geben durfte, bleibt ihm dies auch bei mir nicht erspart. Es war der 21. April 1945, als die Franzosen in Streichen bei Balingen einmarschierten. An jenem Tag kommt Heinrich Haasis zur Welt und erlebt als jüngstes von acht Geschwistern eine Kindheit, die ihn, wie er sagt, bis heute prägt. „Als Kind und Jugendlicher hat man den Standort Streichen oftmals auch verflucht. Die Anbindung war schlecht bis nicht vorhanden, ich persönlich hatte es am Ende dem örtlichen Pfarrer und Grundschullehrer zu verdanken, dass ich das Gymnasium besuchen konnte“, blickt Haasis – dessen Vater eine kleine Möbelfabrik betrieb – zurück.

Sich durchkämpfen. Sich behaupten. Sich Dinge erarbeiten. Das alles hat Heinrich Haasis aus seiner Kindheit mitgenommen. „Es ging nichts von alleine, sondern man musste stets etwas dafür tun, um einen Schritt weiterzukommen. Diese Erkenntnis hat mich meine gesamte Karriere lang geprägt“, so Haasis, der eine Ausbildung für den gehobenen baden-württembergischen Verwaltungsdienst erfolgreich absolvierte und in den Stadtverwaltungen Nürtingen sowie Hechingen erste Erfahrungen sammelte. „Ich hatte schon das Fernziel Bürgermeister. Dass dies aber dann so schnell zur Realität wurde, das war nicht geplant“, erzählt Haasis, der sich als Protestant im katholischen Bisingen 1971 unter acht Bewerbern durchsetzte. 

„Ich war mit Sicherheit gut ausgebildet, allerdings auch sehr unerfahren. Als Bürgermeister hatte ich dann von heute auf morgen viele Beschäftigte und eine sehr große Verantwortung. Man kommt mit der gesamten Bandbreite vom Schreibtischjob bis zur Managertätigkeit in Berührung. Baugrund kaufen, Ausschreibungen tätigen, die Verwaltung managen – das alles hat mir für meinen weiteren Lebensweg sehr viel gegeben“, blickt der heute 78-Jährige auf sein Wirken als Bisinger Oberhaupt zurück.

Ab 1971 war Haasis Mitglied des Kreistags und seit 1976 über 25 Jahre direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Balingen im Landtag von Baden-Württemberg. Mit Sicherheit die intensivste Wirkungsstätte für den Zollernalbkreis begleitete Haasis von 1981 bis 1991 als Landrat. Unvergessen sind sein leidenschaftlicher Einsatz für die Infrastruktur – auf Schiene, wie Straße. Daraus resultiert beispielsweise, dass entgegen der Pläne der Bundesbahn die Strecke Sigmaringen-Albstadt-Balingen-Tübingen weiterhin Bestand hat. Auch wenn Haasis einer Elektrifizierung nachtrauert. „Wir haben damals vom Albverein aus eine Initiative gestartet und sind für geführte Wandertouren über Wochen mit der Bahn zum jeweiligen Startpunkt gefahren, um auf die Wichtigkeit hinzuweisen“, resümiert der Wahl-Metzinger. Anpacken, sich für nichts zu schade sein, praktische Lösungen forcieren: das ist das, womit Haasis bis heute zurecht in Verbindung gebracht wird.

Eine solche „praktische Lösung“, von welcher der hoch angesehene Haasis bis heute überzeugt ist, war die gleichzeitige Wahrnehmung des Landtagsmandats mit dem Hauptberuf (bei Haasis als Landrat). „Für mich war dies natürlich eine Doppelbelastung, allerdings brachte die Symbiose für den Kreis viele Vorteile mit sich. Heute ist der Landtag in Stuttgart ein Vollzeitparlament. Aus meiner Sicht mit deutlich mehr negativen Auswirkungen als positiven“, so Haasis. Ich kann dieser Aussage als ehemaliger Beschäftigter im Landtag persönlich nur zustimmen. Der Bezug zur Praxis, zur Basis, zu den Menschen vor Ort und deren Probleme gehen heutzutage teils leider unter. Das war zu Zeiten von Heinrich Haasis mit Sicherheit noch anders. Der langjährige stv. Fraktionsvorsitzende der CDU-Landtagsfraktion war unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel auch und gerade aufgrund seiner praxisbezogenen, oft unkonventionellen Politik ein logischer Anwärter auf ein Ministeramt. Zu aller Verwunderung lehnte Haasis damals allerdings ab und wechselte als Sparkassen-Manager in die Wirtschaft.

Aber zunächst nochmals zurück zum Kreis und der Handschrift des „Bauherren“ Haasis. Neben dem Ausbau der beruflichen Schulzentren in Hechingen, Balingen, wie Albstadt ist die Gründung der heutigen Fachhochschule Sigmaringen-Albstadt auf Haasis´ Engagement zurückzuführen. „Der damalige Ministerpräsident Lothar Späth wollte fünf dieser Standorte im ländlichen Gebiet installieren. Das war zu einer Zeit, als die Textilindustrie im Kreis innerhalb 15 Jahren rund 20.000 Arbeitsplätze verlor. Mit vereinten Kräften ist es uns damals gelungen, den Fachhochschulstandort nach Albstadt zu bringen, was bis heute extrem positiv für die Wirtschaft im Zollernalbkreis ist“, so Haasis.

Als Landrat begleitete Haasis den Posten des Verwaltungsratsvorsitzenden der Sparkasse Zollernalb. Ein neuer Abschnitt begann für den Streichener 1991. Im September wurde er von der Verbandsversammlung zum Präsidenten des Württembergischen Sparkassen- und Giroverbands gewählt, welcher später mit dem Badischen Verband zum Sparkassenverband Baden-Württemberg fusionierte. Für ihn sei der Einstieg in die Welt der Finanzen etwas gewesen, wo er gesehen habe, dass er hier ebenfalls noch mehr bewirken könne. „Die Landtagstätigkeit, sowie meine guten Kontakte zu Landräten und Bürgermeistern haben mir damals sehr geholfen“, so Haasis, zu dessen Errungenschaften unter anderem die Übernahme der bis dahin landeseigenen badischen und württembergischen Gebäudebrandversicherungsanstalten durch die Sparkassen-Finanzgruppe 1994, die Fusion zur Landesbank Baden-Württemberg 1999 und die Fusion der beiden Sparkassenverbände in Baden-Württemberg zählen. Sein Karriereweg setzte sich 2005 fort, als Haasis zum Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands gewählt wurde. Aktuell ist Heinrich Haasis Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sparkassenstiftung für internationale Kooperation e.V.

Ich möchte von meinem Gesprächspartner wissen, was ihm in all den Jahren und bei all diesen, oft grundlegenden Entscheidungen mit weitreichenden Folgen am meisten geholfen habe. „Aus meiner Sicht war und ist dies die Bodenhaftung von früher. Ich habe sehr jung erlebt, dass man im Leben taktische Finessen benötigt, aber im Ergebnis immer eine klare Linie und die nötige Aufrichtigkeit wichtig sind. Es geht darum, über Meinungen auch mal zu streiten, es gilt aber dann auch eine zügige Entscheidung zu treffen. Im Finanzbereich hat man ja immer mit abstrakten Dingen zu tun. Die Kriterien, nach denen man entscheiden muss, sind aber dieselben. Man muss das Grundlegende verstehen und immer in Betracht ziehen, wo Dinge enden können. Die Art, wie man aufgewachsen ist und die Nähe zum Beruf waren mir in der Entscheidungsfindung dann immer ein guter Ratgeber“, so Haasis.

Nun wäre es vermessen, würde ich Haasis abschließend nicht nach seiner Einschätzung zur Zukunftsfähigkeit des Zollernalbkreises fragen. Seine Antwort zeigt mir einmal mehr, mit wieviel Scharfsinn dieser bis heute seine Heimat beäugt: „Unsere Industriestruktur ist gut, wir haben ein breites Handwerk mit Reputation bis in die Region Stuttgart und keine Monoindustrie mehr, dazu einen guten Sockel an Traditionsbetrieben von Bizerba bis Groz-Beckert. Hinzu kommt ein stabiler Mittelstand im Maschinenbau und der Medizintechnik. Auch im Bildungsbereich sehe ich den Kreis gut aufgestellt. Defizite sehe ich bei der Verkehrsanbindung. Es gilt weiter Druck auf Tübingen auszuüben, damit die B27 ab Kreisende endlich ausgebaut werden kann. Dafür braucht es dann auch unkonventionelle Lösungen, beispielsweise für die Durchfahrt Ofterdingen. In Tübingen selbst sehe ich keine richtige Lösung ohne einen Tunnel“, so Haasis.

Als zweite, große Baustelle sieht der ehemalige Landrat die Elektrifizierung der Bahnstrecke Stuttgart – Tübingen – Balingen – Albstadt. Wenn man in Tübingen nicht umsteigen müsse, verkürze dies die Fahrt auf den Stuttgarter Flughafen enorm. „Alleine diese Tatsache ist ein wichtiger Punkt für viele. Am Ende geht es darum, den Kreis interessant für Wohnen und Arbeiten zu halten. Dafür brauchen wir übrigens auch Bauplätze. Den Abgesang auf das Einfamilienhaus, der aktuell stattfindet, empfinde ich persönlich als Schwachsinn. Die jungen Menschen brauchen Bauplätze und Möglichkeiten, den Traum vom Eigenheim in leistbaren Rahmen zu realisieren“, so Haasis.

Um auf meinen Vorgriff zu Beginn näher einzugehen: bei allen Erfolgen, sehr hohem Ansehen über die Landesgrenzen hinaus und als Träger des Bundesverdienstkreuzes sowie der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg zeigen Heinrich Haasis‘ Aussagen einen Menschen, der seine privilegierten Positionen, ob in der Politik oder der Bankenwelt, immer als Chance gesehen hat, etwas für das Gemeinwohl zu bewegen. Eigene Ansprüche auf Erfolg scheinen aus meiner Sicht nie an prominenter Stelle in seinem Tun gewesen zu sein. Vermutlich ist dies ein Hauptgrund dafür, dass es dann am Ende doch solch eine Vielzahl an Errungenschaften geworden ist, welche auf ihn zurückzuführen ist. Ein echter ‚Bauherr‘ eben, einer mit Bodenhaftung.

Autor: Marcel Reiser